Nicht lenken, sondern inspirieren

© visitberlin, Foto: Wolfgang Scholvien

2019 war wieder ein sehr erfolgreiches Jahr für den Tourismus in Berlin. Das verkündeten Senatorin Ramona Pop und Burkhard Kieker, Geschäftsführer von visitBerlin, im Februar. Fast 14 Millionen Gäste blieben für über 34 Millionen Übernachtungen an der Spree, so die Statistik. Damit weist Berlin mehr Übernachtungen als Hamburg und München zusammen auf.

Der Anteil derjenigen aus dem Ausland lag bei gut 45 Prozent. Die Hitliste der Herkunftsländer führten Großbritannien, die USA und Spanien an, dahinter folgten Italien, Niederlande und Frankreich. Zuwächse waren 2019 vor allem bei Besuchern aus Spanien zu verzeichnen, gefolgt von den USA und Italien. Die zahlenmäßig größten Verluste hingegen gab es aufgrund des gefallenen Wechselkurses und des Brexit-Unsicherheit bei Gästen aus Großbritannien. Aktuelle Besonderheit: Gruppenreisen aus China, die in den letzten Jahren stetig auf zuletzt rund 330.000 Übernachtungen in Berlin pro Jahr anstiegen, brachen aufgrund der Coronavirus- Infektionen im Dezember ein.

Gäste und Bewohner im Fokus

Burkhard Kieker und Ramona Pop zogen eine positive Bilanz des vergangenen Jahres, möchten aber die Touristenströme entzerren – Foto: visitBerlin

2019 wurden seitens des Senats verstärkt die Nutzungskonflikte angegangen. „Mit unserem Tourismuskonzept setzen wir auf nachhaltiges und qualitatives Wachstum“, so Senatorin Pop. Dabei hat sie sowohl die Berlin-Gäste als auch die Anwohner im Blick. Harte Maßnahmen auf dem Gebiet der Sauberkeit wie die zusätzliche Reinigung im Umfeld touristischer Magneten sowie ein neues WC-Konzept auf der Partymeile, die Friedrichshain und Kreuzberg verbindet, gehören dazu. Bürgerbeiräte in den einzelnen Bezirken sollen als Plattform für den landesweiten Erfahrungsaustausch dienen.

Die meisten Gäste Berlins übernachten nach wie vor im Bezirk Mitte. Mit erheblichem Abstand folgen die Bezirke Charlottenburg-Wilmersdorf und Friedrichshain-Kreuzberg, wobei letzterer im Vergleich zum Vorjahr erheblich zulegte, während Charlottenburg- Wilmersdorf gegenüber 2018 leicht verlor. Ein Trend weist nach draußen: In den Außenbezirken wurden 2019 über 58.000 Übernachtungen mehr als 2018 erfasst. Die Bezirke werden aktuell verstärkt beim Thema Tourismus mit einbezogen. Nach dem Vorbild New Yorks möchte Berlin die Touristenströme entzerren. Weg vom Brandenburger Tor, hin zum Müggelsee, könnte man es salopp formulieren. Dazu arbeitet bei visitBerlin, Berlins offizieller Organisation für Tourismus- und Kongressmarketing, inzwischen ein siebenköpfiges Bezirksteam. Der Berlin- Tourismus ist räumlich stark auf die Innenstadtbereiche konzentriert, so Burkhard Kieker. Spannendes Potenzial bieten jedoch alle 12 Bezirke. Im Bereich Freizeit und Kultur z. B. ist der Bezirk Steglitz-Zehlendorf insbesondere bei der Entwicklung des Radtourismus zurzeit federführend. Deshalb wurde Ende Februar die bezirksübergreifende U-Bahn-Kampagne „Vom Hot-Spot zum Kult-Spot“ auf dem U-Bahnhof Warschauer Straße eröffnet. Im Vorfeld erarbeiteten Friedrichshain-Kreuzberg und Steglitz-Zehlendorf gemeinsam mit der Kreuzberger Agentur Heldisch diese Kampagne, um die Touristenströme im Berliner Zentrum zu entzerren. Die humorvolle und selbstironische Aktion, die von Anfang März an drei Monate lang in den U-Bahnlinien U1 bis U4 zu sehen sein wird, möchte Besucher in den Südwesten Berlins locken und für die dort neu geschaffenen „Radrouten Südwest“ begeistern.

© visitBerlin, Foto: Dagmar Schwelle

Metropolen-Konferenz Q Berlin

Apropos Gemeinsamkeiten von New York und Berlin. Bereits heute lebt mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung in Städten. In Deutschland sind es schon heute mehr als 75 Prozent. Dieser Trend zur Urbanisierung wird sich in Zukunft verstärken, sodass 2050 schon mehr als zwei Drittel der Menschen in urbanen Räumen leben werden. Die Rolle der Städte gewinnt im globalen Gefüge immer mehr an Bedeutung. Berlin will wie New York dieser Entwicklung gerecht werden und legt künftig noch mehr Wert auf innovative Formate, auch „Test Labs“, also Testlabore, genannt. Bei der internationalen Metropolen-Konferenz Q Berlin am 28. und 29. September 2020 werden anlässlich des Jubiläums der Bildung von Groß-Berlin vor 100 Jahren die heute drängenden Fragen nach bürgerschaftlicher Verantwortung, städtischem Leben und neuen Formen der Arbeit diskutiert. Dabei geht es um Fragen wie diese: Was können Städte voneinander lernen? Mit innovativen Formaten werden hochrangige Referenten aus unterschiedlichen Bereichen an zwei Tagen mit interessierten Bürgern in Dialog gebracht. Metropolen sind schließlich aufgrund ihrer Bündelung von Wissenschaft, Wirtschaft, Kultur und gut ausgebildeten jungen Menschen ideale Labore zum Experimentieren. Hier entstehen die Innovationen, die Antworten auf unsere Zukunftsfragen – nicht nur in der Großstadt – geben.

„Grünes Berlin“ und „Berlin am Wasser“

Ein wichtiges Thema bei visitBerlin ist der Großstadtdschungel, pardon: die Großstadtnatur. Parks, Wälder und Seen hat Berlin schließlich en gros zu bieten. Dass die Deutsche Zentrale für Tourismus 2020 eine Themenkampagne Natur & Aktiv nach dem Motto „Follow your #WanderlustGermany“ gestartet hat, passt genau dazu. Aktivtourismus liegt voll im Trend, und in Berlin und Umgebung kann man sowohl schwimmen, rudern und segeln als auch wunderbar Rad fahren.

© visitberlin, Foto: Wolfgang Scholvien

Berlin als Ziel für Feinschmecker, neudeutsch auch „Foodies“ genannt, wer hätte das vor Jahren gedacht? Unabhängig von der Spitzengastronomie, die an der Spree die meisten Restaurants mit Sternen im deutschen Städtevergleich zählt, hat sich die Hauptstadt zu einer wahren „Food-Metropole“ gemausert. Es gibt viele Investitionen in der Gastronomie, plötzlich eröffnende Pop-up-Lokale und Festivals, bei denen sich alles ums Essen und Trinken dreht. Dadurch entsteht eine quirlige und immer größere kulinarische Vielfalt in allen Bezirken. Wo man auch hinschaut, Berlin hat sich mit Trends wie dem aktuellen zur regionalen und saisonalen Küche zu einem Innovationstreiber innerhalb von Deutschlands Gastronomie entwickelt.

Viele Betten, Kongresse und natürlich Kultur

© visitBerlin, Foto: Artfully Media, Sven Christian Schramm

Darauf kommt keiner: Mit fast 150.000 Betten bietet Berlin mehr Übernachtungsmöglichkeiten als New York, so Burkhard Kieker. Trotz dieses riesigen Angebots entwickeln sich laut Branchenverband Dehoga die Zimmerpreise inzwischen zugunsten der Hoteliers weiter nach oben. Mittelfristig, also in den kommenden fünf bis sieben Jahren, sind weitere 52 Hotelneubauten mit insgesamt rund 21.000 Betten geplant. Absehbar ist, dass eine nennenswerte Verlagerung von Hotelstandorten in Richtung des Flughafens BER, der im Oktober 2020 eröffnen soll, stattfinden wird.

225.000 Beschäftigte arbeiten im Tourismus- Sektor. Der Bereich ist ein sehr wichtiger für Berlins Wirtschaft. Besonders stark und gut aufgestellt ist das Kongressgeschäft, da liegt Berlin weltweit unter den ersten fünf Städten. Im Februar tagte z. B. die Deutsche Krebsgesellschaft in Berlin mit bis zu 10.000 Ärzten. Viel Wert legen die Ausrichter solcher Großveranstaltungen heutzutage auf Nachhaltigkeit. Dabei geht es ihnen nicht nur um das angebotene Essen für die Kongressteilnehmer, sondern z. B. auch um den Umgang mit dem Müll. Zusammen mit dem für Berlin so bedeutenden Kultursektor zieht die Touristikbranche an einem Strang. Für viele der Kultureinrichtungen sind die Nicht-Berliner als Gäste schließlich ausschlaggebend. Laut visitBerlin hängen bis zu 60 Prozent aller Kulturveranstaltungen von auswärtigen Besuchern ab.

Was 2020 alles ansteht? Mit Pauken und Trompeten natürlich die Eröffnung des Humboldtforums im Stadtschloss. Dort wird visitBerlin ein Kulturcafé einrichten. Es gibt zahlreiche Veranstaltungen zum Thema „100 Jahre Groß-Berlin“, und außerdem steht die Eröffnung der U-Bahnlinie U5 vom Brandenburger Tor zum Alexanderplatz bevor. Dadurch sollen die leidigen Baustellen auf der Flaniermeile Unter den Linden endlich verschwinden. Nach dem großen Interesse im Bauhausjahr 2019 an allem, was mit dem Bauhaus zu tun hat, wird Berlin 2020 die Industriekultur verstärkt ins Visier nehmen. Die „Route der Moderne“ soll damit ergänzt werden. Wo schließlich findet man solche imposanten Industriedenkmäler wie das frühere AEG-Werk in der Voltastraße in Wedding oder das Turbinenwerk von Siemens in Moabit?

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