Das lange Sommermärchen – vom Rückzug der mobilen Offenheit

Wie die Moden so kommen und gehen: Im Sommer 1977 widmete sich die ADAC Motorwelt dem Thema „Die letzten Cabrios“. Damals gab es nur noch zwei offene Autos deutscher Provenienz – Mercedes SL und Käfer Cabrio; Italien bot mit Fiat 124 Spider und Alfa Spider auch nicht mehr, Großbritannien baute lediglich noch den ewigen Spitfire und Frankreich das famose Peugeot 504-Cabrio in homöopathischen Dosen.

Es waren nicht zuletzt die Sicherheitsbestimmungen des für viele so wichtigen US-Automarkts, die die Hersteller den Aufwand scheuen ließen, neue offene Autos zu entwickeln. Das nahezu „tote“ Cabrio wurde dann aber in letzter Minute wiederbelebt. Der Aufstieg begann nur wenige Jahre nach dem ADAC-Bericht, wofür vor allem drei Autos bzw. Hersteller stehen: Porsche mit der Öffnung des 911 (SC) im Jahr 1982, BMW mit seinem Dreier Cabrio, das im Jahr 1986 vorgestellt wurde, und dann Mazda 1989 mit dem je nach Markt „Miata“ (US) oder MX-5 (Deutschland) genannten Trendsetter. Das Golf Cabrio von 1979 war zu früh und zu halbherzig, um eine Bewegung auszulösen; es war wie die später nachfolgenden Escort IIICabrio und Kadett E-Cabrio nicht mehr bedingungslos offen wie das Käfer Cabrio, sondern trug zur Verstärkung und zur Sicherheit einen Überrollbügel, einen „Henkel“, der dem Golf den Namen „Erdbeerkörbchen“ einbrachte.

Foto: Peter Klotzki

Ganz anders das zunächst als 325i vorgestellte BMW-Cabrio, das „henkel-frei“ war und mit der im flachen Verdeck-Kasten untergebrachten „Stoffmütze“ für die hohe „Cabrio-Schule“ stand. Die in England gelebte Idee des puristischen Roadsters mit Heckantrieb belebte der Mazda MX-5 mit zuverlässigster Technik – ganz im Gegensatz zu den launenhaften MGs oder Triumphs. Andere Hersteller sprangen auf diesen fahrenden Zug auf – mit Roadstern von Audi TT über BMW Z 3 und Mercedes SLK, Porsche Boxster und Fiat Barchetta bis zum radikal mit dem Vorgänger brechenden Alpha Spider. Die Nachfrage nahm dauerhaft zu und veranlasste fast alle anderen Hersteller, nun sogar auch viersitzige offene Autos zu entwickeln. Dazu gehörten etwa das Audi Cabrio und das viersitzige Mercedes EKlasse Cabrio, beide aus dem Jahr 1991. Ein weiterer Faktor war die Blechdach-Technik, die das Stoffdach ersetzte und nach teuren Fahrzeugen wie Mercedes SL dann auch in Kleinwagen wie Peugeot 206, Nissan Micra und Opel Tigra (2) Einzug hielt. Manche Hersteller hatten drei und mehr Cabrio-Modelle im Angebot wie etwa Mercedes mit SLK, SL und CLK oder Audi mit TT und den offenen Varianten von A3, A5 und R8, BMW ebenso mit 1er, 4er, 6er und Z4.

Es wurde ein langes Sommermärchen der Cabrios: Im Jahr 2007 lag der Marktanteil mit rund 138.000 Cabrio-Neuzulassungen in Deutschland bei 4,4 Prozent. Die Zulassungen verteilten sich auf 57 verschiedene Modelle. Doch die Welle ist geritten. Zehn Jahre später hatte sich die Nachfrage um 40 Prozent vermindert (rund 83.600) und der Marktanteil halbiert. Neue Versuche scheiterten: So wurde die wunderschöne Auflage vom Fiat 124 Spider 2019 nach nur einem Jahr wieder vom deutschen Markt genommen, Audi streicht den TT; offene Kompaktwagen wie einst VW Golf, Ford Focus, Peugoet 308cc und Opel Astra gibt es gar nicht, jede Begeisterung für die schweren Blechdach-Cabrios ist geschwunden.

Foto: Pixaba

Korrespondierend zum Niedergang der offenen Autos verhält sich der Anstieg einer sehr geschlossenen Art von Fahrzeugen: die SUV (Sport Utility Vehicle) mit ihren rund 25 % Marktanteil. Sie stehen für ein ganz anderes Verständnis der Bewegung im öffentlichen Verkehrsraum. Statt Sichtbarkeit Abschirmung der Passagiere von der Außenwelt. Vermittelt ein offenes Auto gerade die Verbindung mit Straße und Umgebung, erzeugen SUVs genau das Gegenteil – sie distanzieren, sie lassen die Passagiere über dem Boden thronen und sorgen mit abgedunkelten Scheiben für Intransparenz. Das Cabrio dagegen schafft Verbindung, es exponiert. Es inszeniert auch Menschen, auch wenn nicht jeder eine „bella figura“ macht. Cabriofahren ist das Gegenteil des anonymen Transports von Menschen, wie ihn SUVs bedeuten, eine Analogie zur gesellschaftlichen Entwicklung – Abschottung, Distanzierung und Egoismus. Mit dem Cabrio-Fieber der 90er- / frühen 2000er- Jahre kamen die Fahrer den Ursprüngen des Automobils sehr viel näher. Die ersten Autos leiteten sich von Kutschen ab, ihre Karosserien waren diesen nachempfunden. Ein Verdeck war Standard, ein festes Dach das Extra. Erst mit der Großserienfertigung ab dem geschlossenen Ford T-Modell wurde das offene Auto zur besonderen und luxuriösen Ausnahme.

Glamouröse Momente aber vermittelte vor allem das offene Auto, im Film wie etwa Miami Vice mit Sonny Crockett und Ricardo Tubbs in ihrer Ferrari Daytona-Replika, vor allem aber früher auch im politischen Raum mit Staatsrepräsentanten, die sich zu inszenieren wussten – Adenauer im Mercedes 600 Landaulet. Allerdings verbinden sich mit Cabrios gerade auch tragische Momente – Unfalltode von James Dean 1955 im Porsche Spider oder der der Sängerin Alexandra 1969 im Mercedes 220 SE Cabrio und der Anschlag auf John F. Kennedy im offenen Lincoln Continental 74 im November 1963. Ob und wie sich der Klimawandel auf die Begeisterung für Cabrios auswirken wird, ist schwer einzuschätzen. Gerade wo es heiß ist, in den südlichen Ländern Europas, wurden stets weniger Cabrios gekauft als im kühleren Deutschland. Doch Überraschungen sind nie ausgeschlossen. „Totgesagte“ leben länger, wie ein bekannter Ausspruch sagt, und der nächste Frühling steht vor der Tür.

Unser Gastautor:
Peter Klotzki ist neben seinem Berufsleben seit seiner Jugend ein Liebhaber von „alten“ Autos, Experte auf diesem Gebiet, Sammler von klassischer Auto-Literatur und von wenigem altem Blech sowie Mitbegründer und Vorstandsmitglied des historischen Automobilclubs Ritter von Kalebuz e.V. im ADAC Berlin-Brandenburg.

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