Marke, Seismograf und Hochgenuss

von Brigitte Menge

Foto: Berlin Partner
Foto: Berlin Partner

19 Jahre Berliner Meisterköche: Wie die Restaurantkultur zum Imagefaktor wurde.

Am späten Nachmittag des 7. November ist in der Küche des Hotel InterContinental geschäftiger Trubel. Fünf Teams arbeiten am Menü für das Gala-Diner: die Berliner Meisterköchin Sonja Frühsammer, der Brandenburger Meisterkoch Marco Giedow, Manuel Schmuck, der „Aufsteiger des Jahres“, Lukas Mraz aus der„CORDOBAR“ und Eberhard Lange vom gastgebenden Haus. Die Teams sind emsig, alles funktioniert reibungslos, man kennt und schätzt sich, routiniert wird der Stress überspielt, auch als die Presse zum vereinbarten Rundgang erscheint, Fragen stellt und Fotos macht. Und es sind ja noch zwei Stunden Zeit, bis die Gäste im festlich dekorierten Ballsaal des InterConti Platz nehmen. Barbara Merll, Gastgeberin des Jahres, kann noch einmal durchatmen. „Ich bin ziemlich aufgeregt, denn ich präsentiere dann auf der Bühne die Weine“, verrät sie. Zum 19. Mal ehrte Berlin Partner die besten Gastronomen der Hauptstadtregion.

Ein Blick zurück

Am Anfang stand ein Anruf. Den erhielt Prof. Dr. Dr. Dieter Großklaus im Sommer 1997 von Dr. Volker Hassemer aus einem Feinschmecker-Restaurant in dessen italienischem Urlaubsort. Dem Gründer und damaligen Chef von Partner für Berlin ließen Überlegungen um das Niveau der hauptstädtischen Feinschmecker- und Restaurantkultur keine Ruhe. Was man da machen könne, fragte Hassemer den Bailli (Zunftmeister) von Berlin-Brandenburg der Confrèrie de la Chaîne des Rôtisseurs Paris, einer der renommiertesten Feinschmecker-Zünfte weltweit. „Vielleicht Spitzenköche suchen und eine Jury gründen …?“ Die beiden Berlin-Enthusiasten und bekennenden Gourmets vereinbarten ein baldiges Gespräch. „Danach ging alles sehr schnell“, erinnert sich Professor Großklaus. „Anfangs waren wir noch unsicher, ob die Idee mit der Auszeichnung von ‚Berliner Meisterköchen‘ auch wirklich funktioniert, akzeptiert wird und den erhofften Anschub bringt, aber dann hatten wir für Bedenken gar keine Zeit mehr. In der ersten Jury saßen bereits Persönlichkeiten wie Heinz Horrmann, Thomas Platt, Renate Peiler und Bernd Matthies.“ Schon im Herbst 1997 wurden die ersten Berliner Meisterköche geehrt. „Im Hotel InterContinental – Willy Weiland war Chef des Hauses – fand das dafür ausgerichtete Gala-Diner von Beginn an eine kulinarische Heimat“, so Professor Großklaus, der seit vielen Jahren mit der Confrèrie de la Chaîne Berlin und Brandenburg kulinarisch durchforstet hat. „Das Schöne war und ist die Harmonie in der Jury trotz der ganz unterschiedlichen individuellen Geschmacksrichtungen und -favoriten.“ 15 Jahre lenkte Professor Großklaus die Arbeit der Meisterköche-Jury und war dadurch gemeinsam mit den Jurymitgliedern eng mit der gastronomischen Entwicklung Berlins verbunden. „Aus der Currywurst-Einöde wurde eine experimentierfreudige Hauptstadt mit einer weltweit ausgerichteten Kulinarik und einer starken Spitzenstellung“, urteilt der ehemalige Wissenschaftler. Als internationaler  Lebensmittelhygieniker und ehemaliger Präsident des Bundesgesundheitsamtes genoss der Träger des Großen Bundesverdienstkreuzes viel Anerkennung in der gesamten Gastgeber-Branche. „Die ‚Berliner Meisterköche‘ sind eine liebenswerte Geschichte, die inzwischen anscheinend Nachahmer in mehreren Metropolen der Welt gefunden hat.“

Herbert Beltle / Foto: privat
Herbert Beltle / Foto: privat

Berliner Meisterkoch des Premieren-Jahrgangs 1997 war Herbert Beltle, der mit dem „Alten Zollhaus“ ein Berliner „Genussfachwerk“ etablierte, das ein gastronomischer Evergreen ist. „Das Presseecho in diesem ersten Jahr war riesig, das ist gar nicht mit heute zu vergleichen“, erinnert sich der überzeugte Regionalist Herbert Beltle. Allein die Veröffentlichungen in den Printmedien des Jahres 1997 zu der damals gerade neu ausgelobten genussreichen Initiative füllen einen ganzen Ordner. Intern wurde viel diskutiert, warum die Wahl nicht auf Siegfried Rockendorf fiel, aber: Es kann nur einen geben! „Es ist ein Mosaikstein des Erfolgs, ein großer und leuchtender“, urteilt der Meisterkoch der ersten Stunde, der im Jahr 2012 als „Gastronomischer Innovator“ nochmals geehrt wurde. Die beiden KPM-Teller stehen im Billard-Zimmer des „Aigner am Gendarmenmarkt“. Die Chronik der „Berliner Meisterköche“ liest sich wie das Who‘s who der hauptstädtischen Köche-Elite. Klangvolle Namen wie Siegfried M. Rockendorf, Roel Lintermans und Tim Raue. Küchenchefs, die Entwicklungen anfachten und Restaurants groß machen. Berlin-Instanzen wie Kolja Kleeberg, Matthias Buchholz, Michael Kempf und Weiterzieher wie Ralf Zacherl und Bobby Bräuer. Was macht nun diesen 19. Jahrgang der „Berliner Meisterköche“ aus? Wir fragten einen, der das ganz genau weiß: Dr. Stefan Elfenbein, Journalist und Autor, seit 2012 Vorsitzender der Jury „Berliner Meisterköche“.

Der Jahrgang 2015 

„Wir als Jury folgen der Vision der Meisterköche-Gründer, indem wir das Jahr über die kulinarischen Entwicklungen der Stadt sensibel beobachten. Pünktlich zur ersten Sitzung im neuen Jahresrhythmus tragen wir 14 dann zusammen, was uns positiv aufgefallen ist, wo Kreativität neu waltet oder sich Gutes gesteigert hat. Das ist unsere Vorschlagsliste, die Basis für alles, auch für die 25 Nominierungen. Noch vor 2, 3 Jahren standen meist um die 90 Vorschläge auf der Liste. Diesmal war die Vorschlagsliste deutlich kürzer – im letzten Jahr war das schon so. Neu ist aber auch, dass Kunst, Können und Kreativität bei den Vorgeschlagenen dafür höher sind und auch in neue Richtungen gehen. Die 5 am Ende Ausgezeichneten offenbaren dann genau, was den Jahrgang ausmacht.“ Und das wäre? „Um den einzuordnen, möchte ich noch auf den 2014er Jahrgang eingehen. Im letzten Jahr zeigte sich, dass auch die Küchenteams der großen, internationalen Köche – der von Gagnaire, Pérez, Raurich – tatsächlich in Berlin angekommen waren, auf einmal groß aufkochten. In diesem Jahr beobachteten wir, dass gerade deren Erfolgsgeschichten eine neue Generation junger, kreativer Köchinnen und Köche oft aus dem Ausland angezogen haben. Und die kochen freier, frischer, frecher denn je zuvor, mit eigener, selbstbewusster Handschrift, in kleinen, eigenen Restaurants. Die Kategorie ‚Aufsteiger des Jahres‘ war mit 18 möglichen Kandidaten dementsprechend 2015 auch die längste auf der ‚kürzeren‘ Vorschlagsliste. Abgestimmt wurde etwa über Industry Standard, Dottir, Nobelhart & Schmutzig, Martha’s, die Cordobar“, so der Jury-Chef Dr. Stefan Elfenbein. Apropos Jury. Die besteht aus 14 Mitgliedern, bestehend aus Berlins führenden Food-Journalisten und -Kennern. Was eigentlich geschieht in einer Patt-Situation? „Das kommt vor“, berichtet Dr. Elfenbein. „Wir entscheiden ausschließlich mit absoluter Mehrheit. In jedem anderen Fall – also auch in einer Patt-Situation – wird neu diskutiert und gewählt. Gerade das ist aber spannend: Die mitunter langwierige, aber immer leidenschaftliche Debatte über diesen oder jenen Ort oder Kandidaten regt ja auch jeden einzelnen von uns an, mit frischem Blick neu nachzudenken. Über die Nominierten wird übrigens per Handzeichen abgestimmt, die Wahl der ‚Sieger‘ erfolgt dann geheim per Stimmzettel, die in der laufenden Sitzung ausgewertet werden.“

Die Initiatoren 

Was die Besonderheit des diesjährigen Meisterköche-Jahrgangs ausmacht, fragten wir auch kurz vor Veranstaltungsbeginn Andrea Joras, Geschäftsführerin von Berlin Partner.

Andrea Joras, Geschäftsführerin von Berlin Partner/Foto: Bastian Fischer
Andrea Joras, Geschäftsführerin von Berlin Partner/Foto: Bastian Fischer

Was macht für Sie die Besonderheit des Meisterköche-Jahrgangs 2015 aus? 

Ich freue mich sehr, dass wir in diesem Jahr die erste Meisterköchin Berlins auszeichnen konnten. Die Jury lobt die Küche Sonja Frühsammers als wahrhaft unverkennbar und in der Hauptstadt einzigartig. Besonders bewegt mich der Gastronomische Innovator 2015 Über den Tellerrand kochen e. V.: Das Food-Projekt zeigt, dass Essen nicht nur Genuss ist, sondern dabei helfen kann, Barrieren zu überwinden. Der Verein möchte ein neues Miteinander zwischen Geflüchteten und Beheimateten schaffen – gemeinsam bereiten die Teilnehmer authentische Gerichte zu, essen, kommen ins Gespräch und lernen die persönlichen Geschichten und Traditionen der Flüchtlinge kennen.

Woran machen Sie als Berlin-Partner-Netzwerk fest, dass die gehobene Gastronomie ein wichtiger Wirtschaftsfaktor in der Hauptstadt ist?

Berlin ist eine der lebenswertesten Städte der Welt, die viel Freiraum für Kreativität bietet. Auf junge Talente der Gastro-Szene, die sich ausprobieren möchten, wirkt das wie ein Magnet. Wie in kaum einer anderen Stadt können sie in der Küche nach Herzenslust experimentieren und neue Konzepte erproben. Die Berliner Spitzengastronomie wird daher auch immer internationaler: Gerichte von allen Kontinenten der Welt können in Berlin gekostet werden, Sterneköche aus Europa, darunter aus Österreich, Belgien und Spanien, kochen in Berlin. Im Umkehrschluss verstärkt die herausragende Restaurantkultur die Anziehungskraft unserer Stadt noch weiter: Gäste und Talente strömen nach Berlin – für einen Urlaub oder zum Leben und Arbeiten.

Was schätzen Ihre Partner-Unternehmen an der gehobenen Restaurantkultur Berlins?

Berlin ist Gourmetstandort Nummer 1 in Deutschland – das Angebot reicht von angesagtem Street-Food bis zu gehobener Küche: Insgesamt funkeln 20 Michelin-Sterne in der Hauptstadt, darunter zehn 1-Sterne-Restaurants und fünf Restaurants mit zwei Michelin-Sternen. Die Hauptstadt überragt sogar München (15 Sterne) und Hamburg (8 Sterne). Insgesamt stehen 1.500 Restaurants zur Wahl – da ist für jeden Gourmet etwas Passendes dabei.

Das Gala-Diner

Foto: Bastian Fischer
Foto: Bastian Fischer

Die 400 geladenen Gäste des Gala-Diners der Berliner Meisterköche 2015 erlebten an diesem Abend einen Gaumenschmaus, wie es ihn in dieser Konstellation nur einmal gibt. Sonja Frühsammer präsentierte wie die anderen prämierten Köche jeweils einen Zwischen- und Hauptgang: Taube auf Blattspinat mit Thai Mango und Kokosnuss folgt an diesem Abend auf Kabeljau mit Ochsenmaulvinaigrette und Liebstöckelbohnen. Marco Giedow überzeugte mit Schweinebäckchen mit Buchenrauch, Pastinake und Quitte. Manuel Schmuck verwöhnte die Gäste mit Sous-vide-gegarter Rinderbrust mit Rote-Bete-Schwarzkümmel-Brot, gebratener Roter Bete, Rucola, eingelegter Steckrübe und Misoschmand. Warmes Beef Tatar mit brauner Butter, Sojasauce, Pilzen und Röstzwiebeln entstammt den Kochkünsten von Lukas Mraz. Zuvor startete das Diner – nach bewährter Tradition – mit einer Vorspeise vom Chefkoch des Restaurants „Hugos“ im InterContinental Hotel, Eberhard Lange. Die Preisträger erhielten von ihren Laudatoren individuell angefertigte, handbemalte Teller der Königlichen Porzellan-Manufaktur.

Der Ausblick

In den 19 Jahren Initiative „Berliner Meisterköche“ haben sich auch immer wieder die Kategorien geändert, so wurde im Jahr 2008 der erste „Gastronomische Innovator“ gekürt, der Patissier und der Sommelier verschwanden von der Liste. Warum? „Die Kategorien spiegeln Entwicklungen der gehobenen Restaurantkultur in der Hauptstadt wider: Berufsgruppen oder Sparten, die Aufmerksamkeit und Beachtung verdienen. Wir versuchen Entwicklungen entgegenzugehen, brauchen aber gleichzeitig die Qualitätsdichte, um nominieren zu können“, erklärt Dr. Stefan Elfenbein, der auf der Meisterköche-Pressekonferenz im September den Wettbewerb als Hauptstadt-Seismografen bezeichnete – ein Gerät, das exakt Bodenbewegungen registriert.

Was bewegt sich wo in der Gastronomie-Metropole? „Nach den großen, internationalen nun die freien, wilden Köche, aber auf einmal in anderen Stadtteilen. Neukölln boomt, auch Kreuzberg, Schöneberg. Mitte und Charlottenburg waren diesmal ganz weit hinten. Dort war 2015 im Gegensatz zu früheren Jahren nur wenig vorgeschlagen, nur vereinzelt nominiert. Grund sind gestiegene und teils unverschämt überteuerte Mieten. Auf Kreativität folgt Kommerz. Der Verlierer ist Berlin. Hierauf aufmerksam zu machen, sehen wir, die Jury, auch als Teil unserer Verantwortung, als Teil der Vision“, so der promovierte Politikwissenschaftler Stefan Elfenbein. Mit dieser sensibilisierten Aufmerksamkeit wird die Initiative der „Berliner Meisterköche“, die ja mit 19 Jahren längst erwachsen geworden ist, das Aushängeschild „Genussmetropole Berlin“ pflegen, um im gleichen Takt mit der sich ständig verändernden Stadt oder gar noch ein bisschen flotter zu laufen. Potenzial sieht Willy Weiland, Präsident des DEHOGA Berlin und von Beginn an Mitglied der Jury, gerade auch im Format des Gala-Diners. Schon die Einrichtung von Kochinseln im Saal brachte Bewegung in das Genuss-Event. „Die Köche agieren nicht als anonyme Wesen in der Küche, sondern kommen mit den Gästen ins Gespräch. Schließlich sind sie die Hauptpersonen des Abends“, so Willy Weiland. „Es liegt im Charakter der Initiative ‚Berliner Meisterköche‘, die Stadt in ihrer Lebendigkeit und Vielfalt widerzuspiegeln. Es ist ja gerade die kreative Szene, die unsere Metropole für Menschen aus aller Welt so attraktiv macht. Berlin ist eine Marke und die ‚Berliner Meisterköche‘ müssen fest mit dieser Marke verkoppelt sein.“

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