Rebell und Philosoph

Das Nobelhart & Schmutzig Team - Foto: Marko Seifert

Donnerstagabend kurz nach 17 Uhr im „Nobelhart & Schmutzig“. Der Service deckt die Tische, in der offenen Küche agieren die Köche konzentriert. Bevor die ersten Gäste kommen – „der Laden ist ausgebucht“, wird Billy Wagner später erwähnen –, treffen sich alle zum gemeinsamen Essen. Zeit für ein Gespräch mit dem vielfach ausgezeichneten Gastgeber, der mit seinem Restaurant und seinen Meinungsäußerungen immer wieder für Gesprächsstoff sorgt.

Gerade haben Sie die Kulinarik-Kampagne der Deutschen Zentrale für Tourismus scharf kritisiert: „Euer Instagramkanal ist so was für den Arsch! Ihr präsentiert nur Wurst, Erdbeerschnitte und Grünkohl mit Pinkel.“ Gibt es eine Reaktion der Manager der Tourismus-Zentrale?
„Culinary Germany“ wird von der Agentur Boom betreut, von der es kein Feedback gab. Aber Hendrik Haase (Aktivist, Autor, Künstler, Berater und Netzwerker – Anmerk. der Red.) kennt die Macher. Es wurde in jedem Fall darüber geredet. Ich habe meine Bereitschaft signalisiert, mich gemeinsam mit ihnen an einen Tisch zu setzen und zu überlegen, wie man Culinary Germany präsentieren kann. Natürlich kosten gute Redaktion und gute Fotos Geld, aber was sollen Erdbeerschnitten und Pinkel aus dem Archiv in einem Medium wie Instagram, das so viele junge Leute nutzen? Die Fotos von den Sehenswürdigkeiten des Landes sind gut, aber wie das Thema Essen transportiert wird, ist eine absolute Katastrophe.

Wie würden Sie für deutsche Küche im Ausland werben?
Ich würde die Geschichten der Menschen erzählen, die für gutes Essen sorgen: der Bauer, der Gärtner, der Bäcker, der Fischer, der Jäger, der Koch, der Gastronom … also weniger das fertige Gericht auf dem Teller als vielmehr die Story dahinter. Und wenn es schon die Schwarzwälder Kirschtorte sein muss, dann in einer Konditorei, die eine eigene Historie dazu hat und diese Torte noch immer bäckt. Dazu ein Rezept, eine Verlinkung … – da gibt es viele Möglichkeiten, wie man das gut machen kann. Und es gibt hierzulande sehr viele Orte mit viel Geschichte und Geschichten.

Billy Wagner – Foto: Sophie Köchert

Unbestritten ist Gastronomie ein Tourismusfaktor oder, einfacher gesagt: Es kommen Menschen nach Berlin, um im Nobelhart & Schmutzig, bei Tim Raue oder Michael Kempf zu essen. Bemerken Sie so etwas wie gesellschaftliche Anerkennung für ein Spitzenprodukt oder würden sie eher 3-Sterne-Koch Christian Bau zustimmen, der nach seiner Ehrung mit dem Bundesverdienstkreuz mit dem Satz „Die Politik schenkt uns viel zu wenig Beachtung“ für Aufmerksamkeit sorgte?
Der Bundespräsident hat zum ersten Mal einem Koch eine so hohe Auszeichnung wegen seiner fachlichen Leistungen verliehen. Ich finde es erstaunlich, dass das so ist. Das offenbart, wie abseits von der öffentlichen Wahrnehmung Essen und Trinken sind. Mir wurde bewusst, dass man dafür mehr tun muss und die Menschen sehen, wie schön Essen sein kann. Wir haben dazu die Küche in den Gastraum geholt, damit unsere Gäste sehen, wie wir Lebensmittel und Essen leben. Ich finde, dass der Staat durchaus eine Verantwortung hat, Ernährung wertzuschätzen, denn es berührt die Lebensbereiche jedes Einzelnen – den Umweltschutz, den Erhalt der Artenvielfalt, Verbundenheit mit der Region, Gesundheit und vieles mehr. Parallel habe ich mich bei der Auszeichnung gefragt, ob schon jemals ein Landwirt eine so hohe Ehrung bekam oder ein Produzent, der auf einer kleinen Fläche tolles Gemüse anbaut.

Was ist für Sie gutes Essen?
Für mich steckt da Emotionalität drin, weil ich weiß, wo die Zutaten wachsen, den Produzenten kenne und erlebe, wie es gut zubereitet wird.

Wie viele Ihrer Produzenten in Berlin und Brandenburg kennen Sie persönlich?
Ich fast alle, unser Küchenchef Micha Schäfer alle.

Schon liest man ab und zu Beiträge, die den Trend der Regionalität in der Gastronomie im Abklingen sehen. Wir nicht, aber halten Sie das für möglich?
Wir kennen rund um Berlin einen einzigen Betrieb, bei dem es die Möglichkeit gibt, rohe Milch zu bekommen. Das ist angesichts einer Stadt von 3,5 Millionen Einwohnern absurd. Da ist noch viel zu tun. Wir wollen mit unserer Arbeit herausfinden, wie die Stadt und ihr Umland schmecken. Und wir haben diesen emotionalen Faktor, dass wir unsere Produzenten kennen und deren Leidenschaft und Liebe an unsere Gäste weitergeben können. Ich weiß nicht, was sich daran ablaufen sollte. Der Bezug zu einem Lebensmittel, einem Produzenten, einer Region ist kein kurzlebiger Trend.

In der Küche des Nobelhart & Schmutzig wird gepökelt, eingesalzen, geräuchert, gesäuert und fermentiert. Das braucht Zeit. Ist das nicht zu viel Aufwand?
Die Gerichte von Micha Schäfer sind in der Vorbereitung sehr aufwendig, aber dann in der direkten Zubereitung einfach. Ein Beispiel: Heute Abend sind Pfifferlinge in Wildsauce ein Gang. Simpel. Aber die Pfifferlinge haben wir nach einem alten rumänischen Rezept im Sommer in Rapsöl eingelegt und damit haltbar gemacht. Das ist die Arbeit, die wir gern machen, weil sie uns in Jahreszeiten mit weniger Produktvielfalt abwechslungsreich agieren lässt. Wir investieren viel Arbeit in die Suche nach den besten Produkten, die bei uns ihren Eigengeschmack behalten. Mir ist wichtig, dass der Gast ein Gericht versteht und nach einem Abend weiß, was er eigentlich alles gegessen hat. Ein Restaurantbesuch ist für die Gäste wichtig, um eine schöne Zeit zu erleben. Wenn dann noch das Essen und der Wein gut sind …

Billy Wagner Wirt & Sommelier

Er wurde 1981 in Mittweida bei Chemnitz geboren und wuchs in Erlangen-Dechsendorf bei Nürnberg auf. Seine Ausbildung zum Restaurantfachmann absolvierte er im Hotel „Herzogs Park“ in Herzogenaurach. Im Restaurant „Essigbrätlein“ in Nürnberg entdeckte er unter Restaurantleiter und Sommelier Ivan Jakir seine Leidenschaft für Wein. Weitere Stationen waren das Restaurant „Zur Traube“ in Grevenbroich, das Kölner „Vintage“ und schließlich das „Monkey’s Plaza“ in Düsseldorf, wo er drei unterschiedliche Weinkonzepte entwickelte, bis er im August 2008 als Gastgeber und Sommelier ins „RUTZ – Restaurant & Weinbar“ nach Berlin wechselte. Dort arbeitete er mit Küchenchef Marco Müller bis Februar 2014. In dieser Zeit wurde das „RUTZ – Restaurant“ von 16 auf 17 Gault-Millau- Punkte im Jahr 2010 heraufgestuft, den Stern im Michelin Guide hielten Billy und sein Team bis zu seinem Ausscheiden. Im Februar 2015 eröffnete er das Nobelhart & Schmutzig in Kreuzberg. Gerade wurde er als „Gastronomischer Innovator 2018“ geehrt.

www.nobelhartundschmutzig.com

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