1982 prägt ein ganzes Jahrzehnt

Ford Sierra. Foto: Pixabay

Knapp 13 Jahre nach dem Start der sozialliberalen Koalition ruft Helmut Kohl im Oktober 1982 in Bonn die „geistig-moralische Wende“ aus. Bonn ist im Fernsehen ständig präsenter Regierungssitz und Auffahrplatz dunkler S-Klassen, wobei der moderne W126 den verspielten W 116 ersetzt. Diese – zwar schon von 1979 – passt in das Autojahr 1982, das sich von den Vorjahren mit konsequenter Modernität und Innovationsschüben abhebt.

Ganz vorne wieder einmal ist wie schon mit dem besonderen Autojahr 1972 die „Traditions- und Qualitäts-Marke“ Mercedes: Der lang angekündigte Baby-Benz erscheint – als 190, im Format ein geschrumpftes Abbild von Bruno Saccos 79er S-Klasse. Der 190 ist in seiner Schmucklosigkeit und Konsequenz revolutionär – kein Chrom, kein Gramm Blech zu viel und setzt auf intelligente und – teure – neue Technik wie die eigens entwickelte sogenannte „Raumlenkerachse“. Gegen den 190 sieht sein großer Bruder, der lange hochbegehrte „kleine Mercedes 200 bis 280 E (W123)“ auf einmal sehr alt aus.

Sierra steht Taunus

Ein konsequent neues Auto schickt auch Ford in den Markt – den Sierra – glatt und windschlüpfig, chromfrei und nur noch mit Kühleröffnungen statt eines –grills. Er lässt seinen Vorgänger Taunus nicht nur namentlich, sondern auch mit dessen Ansatz „viel Show (-Auto)“ mit Chrom und Schmuck für wenig Geld Lichtjahre hinter sich – ein weiterer Generationensprung.

Und die dritte Ausgabe des Audi 100 (C3) von 1982 ist bis heute in Erinnerung als Aerodynamik-Weltmeister. Bündig eingefasste Scheiben, eingezogenes Dach, glatte Radausschnitte etc. führen zum Rekord-Luftwiderstand von nur noch 30 cw. Sein gehobener Ableger, der Audi 200, wird 1983 mit “nur“ 182 PS zur schnellsten deutschen Limousine bei 230 km/h Spitzengeschwindigkeit. Der Preis für die Aerodynamik aber ist hoch, die Insassen schwitzen bei der Karosserie-bedingt hohen Aufheizung – wer schnell sein will muss leiden. Und fürs Fahrwerk war kein Geld mehr da, es entspricht sogar mit dem identischen Radstand weitgehend dem „Ur-Audi 100“ von 1968. Dennoch ist der Wagen ein Imagebeschleuniger für Audi sondergleichen, vor allem auch mit der Vollverzinkung ab 1985 und dem ersten Allradantrieb in einer Serien-Limousine – was den Anspruch auf „Vorsprung durch Technik“ einlöst.

Noch andere Firmen setzen zu gewaltigen Sprüngen an: Citroens konsequent kantiger BX ersetzt den 12 Jahre lang gebauten GS. Opel positioniert sich in der Klasse der Kleinfahrzeuge mit dem pfiffigen Corsa unterhalb des Kadett gegen die schon seit sieben bzw. sechs Jahren angebotenen VW Polo und Ford Fiesta. BMW und VW liefern allerdings wenig. Der VW Santana ist ein Passat mit Stufenheck und unharmonischen Details, der BMW 3er von 1982 hat einen intensiven neuen Schliff bekommen, perfektioniert denn 1975 vorgestellten 3er und ist optisch mit seinen Chromstoßstangen eine Generation älter als der 190.

Generation 1982 prägt ein ganzes Jahrzehnt

Der Stil der „Generation“ 1982 prägt ein ganzes Jahrzehnt, formt die Schwestermodelle, die den „Pionieren“ dieses Jahres alle ähneln wie der Mercedes 200–300E (W124) von 1984, der Ford Scorpio von 1985 oder der Audi 80 (B3) von 1986. Die „Generation 82“ ist die letzte, die lange Bauzeiten schafft – elf Jahre der 190 und der Ford Sierra, acht Jahre der Audi 100, die Modellzyklen danach werden alle kürzer.

Doch die schlichte Modernität wird von vielen Autofans nicht geteilt. Es gibt eine „Gegenbewegung“ – es ist die hohe Zeit des (vor allem optischen) Tunings: Firmen wie D&W, Kamei, Zender bieten Plastikzubehör zum Anschrauben oder –kleben an – Spoiler, Schweller und Schürzen. Sie offerieren Austauschteile wie Lampen, Lenkräder und vor allem Felgen, im Sortiment haben sie Radlaufchrom, hochgesetzte Zusatzbremsleuchten etc. Die Bereitschaft, sein Fahrzeug mit Plastik zu veredeln, tieferzulegen, mit Sportfelgen zu versehen, ist ein Phänomen großer Autobegeisterung und –Identifikation, zugleich auch heftiger Geschmacksverirrung. „Volles Rohr, Preise runter“ – der Slogan in Kombination mit einer Nixe im Badeanzug von D&W, die Präsentation der Produkte mit viel nackter Haut scheinen heute unfassbar schlicht und unbekümmert.

schwarz, breit, tief

Besonders schlimm „erwischt“ es gerade das puristischste Auto der 80er – den 190er Mercedes – „schwarz, breit, tief“ – ist die Zielrichtung, mit der mancher Vorstadtplayboy nun von seinem Golf GTI zu Mercedes findet. Investieren muss er etwa in den D&W-Bausatz „Frontspoiler, Seitenblenden, Heckschürze und Auspufflende“ 1.580 DM (1985), Montage in Eigenarbeit oder Werkstatt. Die Freude an Breitreifen, am Verändern mit „Anbauteilen“ scheint in die 80er mit ihren populären Dauerwellen und den Schulterpolstern zu passen – viel Aufwand in der Verpackung mit verwässernder Wirkung der oft klaren (Design-) Linien.

Die Befassung der Menschen mit ihren Autos in dieser Zeit ist vielleicht auch „die“ Ablenkung in und von einem ernsten Jahr mit erstmals zwei Mio. Arbeitslosen in Westdeutschland, 12.000 Pleiten, einer Weltwirtschaftskrise. Die Debatten um sauren Regen und Waldsterben beginnen und führen wenige Jahre später zur Ausstattung der Autos mit Katalysatoren.

Entfliehen auf einen anderen Stern lässt sich außer mit getunten Autos auch mit dem Blockbuster „ET“ von Steven Spielberg – auf den Straßen mit einem Audi 5000 – Audi war mit dem Vorgänger des auch „Zigarre“ genannten windschlüpfigen Modells von 1982 ein nachhaltiges Productplacement gelungen. Und Audi geht es (noch) gut, bevor 1984 ein vermeintlicher Automatik-Fehler den neuen Audi 5000 (C3) unbeherrschbar machen und zu Unfällen mit Todesopfern führen soll, was Audi in den USA über viele Jahre zurückwirft. In Deutschland fährt der Audi 100 im Gegenteil nach oben – werbewirksam mit Quattro eine Skischanze hoch. Doch das ist eine eigene Geschichte aus dem Jahr 1985.

Peter Klotzki

Unser Gastautor:
Peter Klotzki ist neben seinem Berufsleben seit seiner Jugend ein Liebhaber von „alten“ Autos, Experte auf diesem Gebiet, Sammler von klassischer Auto-Literatur und von etwas altem Blech sowie Mitbegründer und Vorstandsmitglied des historischen Automobilclubs Ritter von Kalebuz e.V. im ADAC Berlin-Brandenburg.

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