Faszination Faszien

Foto: EFDMA

„Ich möchte meinen BH wieder selbst zumachen können“, „Endlich wieder durchschlafen!“, „Ich möchte mit meinem Fuß wieder richtig auftreten können“ – mit Wünschen wie diesen kommen Patienten in die Praxis von Lars Werner in Mitte. Der Heilpraktiker für Osteopathie und Physiotherapeut behandelt vor allem ihre Faszien. Das macht auch Christiane Johann seit 2017 in ihrer Privatpraxis für Faszientherapie, Osteopathie und Physiotherapie in Wilmersdorf.

Faszien nennt man das Bindegewebige Netzwerk, das sich durch den gesamten Körper zieht und ihm Struktur verleiht. Der Begründer der Osteopathie, der amerikanische Arzt und Chirurg Andrew Taylor Still, stellte die Faszie in den Mittelpunkt. Lars Werner hatte ersten Kontakt zu Faszien während seiner Osteopathieausbildung. Inzwischen erfolgt der Schwerpunkt seiner Behandlungen nach dem Fasziendistorsionsmodell, kurz FDM. Christiane Johann arbeitet seit 2009 ausschließlich auf dem Gebiet der Fasziendistorsion. Sie machte Erfahrungen mit der Behandlung am eigenen Leib: „Die waren zwar während der Behandlung zeitweise schmerzhaft, aber derart beeindruckend in ihrer Wirkung, dass ich umso überzeugter meine eigene Spezialisierung vorangetrieben habe.“ Neben Sportlern, die schnell wieder fit sein müssen, oder auch Tänzern, behandelt sie vor allem Menschen, die schon lange Schmerzen oder Funktionseinschränkungen, oft auch eine Vielzahl von Therapien hinter sich haben, oder solche, die eine Operation verhindern möchten. „Ich glaube, dass die größte Gruppe der Patienten in meiner Praxis Rückenschmerzen oder Nackenverspannungen mit und ohne Kopfschmerzen hat. Das geht hin bis zum Hexenschuss, aber auch Patienten mit der sogenannten ‚Frozen shoulder‘, einer akuten schmerzhaften Schultersteife, sind oft dankbare Patienten.“

Lars Werner – Foto: Yves Sucksdorf, 2015

Lars Werner, der seit 2010 mit FDM arbeitet, unterteilt seine Patienten in die mit akuten und die mit chronischen Problemen. Akute Beschwerden sind oft die Folge eines Unfalls. Eine ist die Treppe heruntergefallen, einem anderen trat beim Fußball der Gegner ins Bein. Es ist also ein einmaliges Geschehnis, das Schmerzen verursacht. „In solchen Fällen rechne ich mit maximal drei Behandlungen. Eigentlich sollte es nach der ersten schon viel besser sein.“ Bei chronischen Beschwerden betreibt er zunächst Ursachenforschung. Menschen mit vorwiegend sitzender Tätigkeit und Bildschirmtätigkeit ohne aktive Bewegung neben der Arbeit brauchen eine begleitende Therapie. Ziel ist es, den Patienten in Bewegung zu bringen. „Kommt jemand mit einem steifen Nacken und einem Befund des Orthopäden zu mir, stelle ich zusätzlich eine Diagnose im FDM“, so Lars Werner. „Ich deute diesen Befund und die Informationen des Patienten. Dadurch kann ich in einer neuen Form seinen Schmerz interpretieren und habe dadurch andere Möglichkeiten der Lösung. Eine Arthrose z.B. kann auch eine fasziale Distorsion sein.“ Ein typischer Fall sei ein Schleudertrauma nach einem Verkehrsunfall: „Da gibt es keinen Befund, trotzdem haben Sie Beschwerden. Die kann ich durch das FDM einordnen und behandeln. Faszinierend war, dass ich den Patienten mit einer Effektivität und Geschwindigkeit helfen konnte, die ich vorher nicht kannte.“

Faszientherapie nach der Typaldos-Methode

Die Faszientherapie ist eine manuelle Behandlungsform, bei der geschulte Therapeuten Verklebungen, Verformungen und Funktionsstörungen der Faszien – von den Fachleuten „Distorsionen“ genannt – zunächst mit ihren Händen ertasten und sie dann aufzulösen versuchen. „Durch gezielte Bewegungen, Griffe und Stimulationen werden die Faszien wieder zu einer gesunden Funktion angeregt“, so Christiane Johann. Das FDM mit seinem sehr effektiven Diagnostik- und Behandlungsansatz, nach dem sie und auch Lars Werner arbeiten, wurde von Dr. Steven Typaldos entwickelt. Diese Methode beinhaltet vor allem ein Denkmodell, mit dem sich die Beschwerden der Patienten am Bewegungsapparat in der Praxis gut erklären lassen. „Behandelt wird mit manuellen Griffen, die sich aus Massagegriffen und chiropraktischen Griffen zusammensetzen“, erklärt Lars Werner. Er benutzt dabei Hilfsmittel wie Schröpfköpfe, Zwingen und Flossbänder, um das Gewebe zu lösen. Auch Aushängen ist eine Methode, die er erfolgreich bei seinen Patienten anwendet. „Chirurgen hingegen, die auch mit dem FDM arbeiten, nutzen zur Lösung z. B. eine Endoprothese der Hüfte. Der Unterschied ist, dass ich dem Patienten und seinen Beschwerden eine andere Kompetenz gebe, d.h. für mich hat der Patient erstmal recht, wenn er sagt, dass ihm der Nacken oder der Fuß weh tut. Und das bildet er sich auch nicht ein. Er zeigt mir seine Beschwerden und berichtet darüber, wann und wie sie auftreten. Das gibt mir Hinweise darauf, welche Distorsionen er hat und ich behandle dann mit den entsprechenden Techniken.“ Auf das Anamnesegespräch folgen aktive Tests des Patienten, um zu sehen, wie er sich bewegt. Nach der Diagnose behandelt Lars Werner und dann testet er erneut. „Das ist eine aktive Geschichte, bei der es immer wieder von der Bank auf die Erde geht, wieder testen und laufen, testen und laufen.“

Foto: DAK/Wigger

Auf der Basis des FDM von Typaldos können Therapeuten ihren Patienten oft sehr schnell helfen, so Christiane Johann. „Die Beweise für sein Denkmodel der Fasziendistorsion und ihrer riesigen Bedeutung lieferte die Wissenschaft in den letzten Jahren immer detailreicher. Man darf gespannt sein, welch wichtige Funktion und Aufgaben den Faszien zugeschrieben werden können und worauf sie zu reagieren im Stande sind.“ Einige Krankenkassen haben bereits erkannt, wie wirksam eine Faszientherapie sein kann und beteiligen sich an den Kosten. Ein Ersttermin bei Lars Werner kostet 95 Euro, Folgetermine jeweils 80 Euro.

Bewegen, bewegen, bewegen – was man selbst machen kann

„Der Mensch heilt durch Bewegung,“ ist sich Lars Werner sicher, „wir sind für die Bewegung gemacht! Wer sich nicht bewegt, bekommt Probleme.“ Faszien brauchen Bewegung, andernfalls kommt es zu Verklebungen und Verfilzungen des Gewebes und damit zu Funktionseinschränkungen. „Für jeden von uns ist es wichtig, sich häufig und regelmäßig zu bewegen,“, so auch Christiane Johann. Das scheint aus heutiger Sicht ein wesentlicher Faktor gegen Schmerzen und Funktionseinschränkungen am Bewegungsapparat zu sein. „Dazu muss nicht jeder joggen oder ins Fitnessstudio gehen. Auch andere Bewegung, die möglichst federnd und regelmäßig ausgeführt werden, wie ein Spaziergang oder Yoga, erfüllen hervorragend ihren Zweck.“ Man sollte also machen, was einem persönlich gefällt und dadurch auch gut tut.

Die EFDMA macht die Faszientherapie bekannter

Foto: DAK/Hanuschke+Schneider

Die klassischen Faszien-Therapeuten sind laut Lars Werner Manualtherapeuten und Chirurgen. Um die Faszientherapie weiter bekannt zu machen, unterrichtet er auch. Seit 2014 ist er im Vorstand der EFDMA, kurz für European Fascial Distortion Model Association. Die EFDMA ist ein gemeinnütziger Verein, der die Förderung der Forschung und Lehre auf dem Gebiet des Fasziendistorsionsmodells und der Typaldos- Methode zum Ziel hat. Die Arbeit des Vereins hat sich ausgezahlt, so Christiane Johann, die auch bei Fortbildungsveranstaltungen mitarbeitet. „Es gibt bereits 700 Mitglieder, zu Gründungszeiten waren es um die 70 Mitglieder. Das heißt, es gibt eine deutliche Zunahme an qualifizierten Therapeuten.“ Für die Mitglieder organisiert die EFDMA Arbeitskreise, in denen auch außerhalb von Fortbildungsveranstaltungen der Erfahrungsaustausch unter den Therapeuten und ein ständiges Üben möglich ist. „Da das Interesse an den Faszien in den letzten Jahren enorm zugenommen hat und aus verschiedensten Fachrichtungen an und um dieses faszinierende Gewebe geforscht wird, bleibt es spannend,“ freut sich Christiane Johann. „Wir Anwender des FDM dürfen uns sicher auf einen hoch interessanten Austausch mit Wissenschaftlern freuen.“ Die Therapeutin hofft, dass sich daraus weitere Möglichkeiten der Faszientherapie ergeben und wünscht sich, dass der Verein dieses Wissen in seine Ausbildung mit einfließen lässt. „So kann ein kontinuierlich hohes Niveau der FDM-Therapeuten garantiert werden.“

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