Mit Null Promille durch die Nacht

Sarah Buchbinder, Sommelière im Sternerestaurant The NOname, mit Getränken aus ihrer köstlichen „Hexenküche“. Foto: Florian Kroll

Lifestyle, Gesundheit, Fastenzeit, Religion, Schwangerschaft, Tagesform … – es gibt viele Gründe, ohne Alkohol zu leben. Saftschorle oder Kräutertee in einer gemütlichen Runde? Das muss nicht sein. Spannende, alkoholfreie Getränke sorgen bei Lunch oder Dinner für ein rundes kulinarisches Erlebnis. Wir waren in zwei Restaurants zu Gast, in denen die alkoholfreien Getränke so originell und delikat sind wie die Gerichte: Im Bonvivant Cocktail Bistro und im NOname – beide strahlen seit 2023 mit einem Michelin-Stern am Gourmet-Himmel der Hauptstadt.

Kein-Wein-Karte? Manche der Gäste im Bonvivant Cocktail Bistro stutzen kurz, wenn sie zum ersten Mal die Karte in den Händen halten. Das ist im Sternerestaurant an der Ecke Goltz- und Hohenstaufenstraße in Schöneberg der Moment, in dem Bar-Chef Elias Heintz sein XXL-Wissen rund um Getränke in schnell aufnehmbarer Dosierung vermittelt. Auf der Kein-Wein-Karte stehen die Best-of der Wein-Alternativen, die mit komplexen Aromen überzeugen. Die Fachwelt hat dafür den Begriff Proxies geprägt. So stehen auf der Kein-Wein-Karte der großartige Champagner Bratbirne und Cuvee Nr. 7 von Jörg Geiger („Die Königin unter den Alkoholfreien“) oder Muri x Kadenau („Ein Frühlingsspaziergang durch den Nadelwald“). „Wir haben anfangs natürlich alkoholfreie Weine getestet, aber das hat nicht meinen Erwartungen entsprochen“, berichtet der 23-Jährige, der schon mit 16 hinter der Bar stand und nach zwei Jahren Chef der Amavi Bar in seiner Heimatstadt Göttingen wurde. „Auf der Suche nach Alternativen, die eine weinähnliche Genusserfahrung bringen, habe ich viel probiert.“ Gästen erklärt der Bar-Chef, der an der European Bartender School studierte, gern die verschiedenen Wege, auf denen die Proxies hergestellt werden. Gespräche über natürliche Zutaten, Spiel der Aromen, Fermentierung, Strukturen, Stilistik, Entwicklungen im Getränk. Über 20 Marken stehen inzwischen auf der von Elias Heintz kuratierten Kein-Wein-Karte. Längst kommen Menschen ins Bonvivant, um diese besondere Genuss-Erfahrung zu erleben. „Ich möchte meinen Gästen gute Getränke anbieten. Es macht mir Spaß, immer wieder neue Genuss-Impulse zu geben“, formuliert der Bartender seinen hohen Anspruch an die eigene Motivation und ergänzt: „Alkohol ist ein Geschmacksträger, aber zu viel Alkohol trübt die Sinne. Genuss und Sinn hat viel miteinander zu tun. Aber mir liegt es fern, ein Dogma daraus zu machen.“

Bartender mit Wissen und Leidenschaft: Elias Heintz aus dem im Bonvivant Cocktail Bistro in Berlin-Schöneberg , Foto: Sarah Schlopsnies

Das lässig-gemütliche Bonvivant offeriert neben den Getränken auf der Kein-Wein-Karte ein breites Angebot an alkoholfreien Drinks: Cocktails ohne Promille, die auch als Essensbegleitung bestens funktionieren, und die hausgemachten Limonaden unbedingt probieren). Und das Lieblings-Getränk des Bar-Chefs? „Was mir gerade besonders gefällt, ist der Proxy ‚B‘ ‚der nur Produkte aus Brandenburg enthält. Das passt perfekt zu unseren regional eingekauften Produkten, die saisonal verarbeitet werden.“ Und was ist drin im fermentierten Getränk? Quince, Mädesüß, Walnuss- und Brombeerblätter, Aromen von Eichenholz und Meersalz. Was noch besser ist? Einfach mal probieren!

Winter im Glas

Der kräftig-erdige Geschmack der Roten Bete im innigen Flirt mit Rosmarin … das ist Winter im Glas in einer Farbe, die an die sonnengereiften Rotweine der Toskana denken lässt. Das ist durchaus beabsichtigt, denn als Sarah Buchbinder vor gut vier Jahren mit Sternerestaurant-Erfahrungen ins Restaurant The NOname in der Oranienburger Straße kam, gab es hier nicht nur eine ausgezeichnete Weinbegleitung zu den 8-Gänge-Menüs des Fine-Dining-Restaurants, sondern auch eine nichtalkoholische Version. „Diese unendlich vielen Möglichkeiten waren und sind für mich immer wieder eine herausfordernde Herzensangelegenheit“, bekennt die Sommelière, die bald schon ganz eigene Wege beschritt und die Null-Prozent-Drinks selbst kreierte. Das Team war begeistert, schließlich steht das Restaurant in seinem lustvoll-minimalistischen Stil in Küche und Interieur für die lebendige, kunstvolle und weltoffene Metropole. Die Sommelière beherrscht ihr Handwerk bis in die Wurzeln: Sie spürt den Aromen nach, probiert, experimentiert („Da geht auch mal was schief.“), fermentiert, was viel Fingerspitzengefühl und Erfahrung für die zwei getrennten Arbeitsschritte erfordert. Früchte, Säfte, Kräuter, Gemüse, Tees, raffinierte Essenzen mit Würzölen, selbst die Spitzen von Nadelbäumen wandern in die Fermentier-Gläser. Das alles in Handarbeit, im Rhythmus der Jahreszeiten und in enger Abstimmung mit dem Küchenteam um Tim Tanneberger, dem jungen Küchenchef, dessen ganz eigene Handschrift die Küche des Hauses prägt. „Manchmal liegt es auf der Hand, was ich kreiere. So hatten wir einen Karottengang mit Selleriecreme. Mein Karotten-Kombucha passte perfekt“, berichtet Sarah Buchbinder. Das Team nennt den kleinen Raum, in dem die 32-Jährige ihre Getränke kreiert, „Hexenküche“. Die Gäste würden sich wohl eher für „Zauberstube“ entscheiden, denn die Drinks mit Null Prozent stehen in ihrem Geschmacksreichtum auf dem gleichen hohen Level wie die sternengekürte Küchenkunst des Hauses. Im Getränkekühlschank liegen die alkoholfreien Drinks gleichberechtigt neben den Weinen.

Sarah Buchbinder berichtet, dass es natürlich möglich ist, während des Menüs zwischen Wein und alkoholfreien Alternativen zu wechseln oder dass sich Paare eine für eine Wein- und eine Null-Prozent-Begleitung entscheiden und dann testen, welches Getränk am besten zum jeweiligen Gang passt. Viel Kommunikation um Getränke gefällt ihr besonders gut.

www.the-noname.de
www.bonvivant.berlin

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