Nur nach Hause gehen wir nicht

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So schallt es nach Heimspielen von Hertha BSC immer aus den Lautsprechern im Olympiastadion. Frank Zanders Lied genießt Kultstatus bei den Fans des Berliner Fußballvereins, ist neben der offiziellen Hymne „Blau-Weiße Hertha, du bist unser Sportverein“, die „Die drei Travellers“ 1961 intonierten, dass zweite große Hertha-Lied. Und natürlich war Zander als Gast bei der 130-Jahr-Feier dabei, die die „alte Dame“ am 30. Juli im heimischen Olympiapark ausrichtete. 

130 Jahre zwischen Frust und Euphorie, Trauer und Freude, zwischen Rückschlägen und Comebacks. In jüngster Zeit überwogen eher die Rückschläge, aber das stellen wir hier mal hinten an. Der Ende Juni zur Überraschung vieler neugewählte Präsident Kay Bernstein hat zum Jubiläum von Ehrfurcht vor der langen Geschichte des Clubs gesprochen. „130 Jahre sind so eine lange Zeit, dass sie nicht wirklich in mein Vorstellungsvermögen passen“, sagte er in einem Video, das Hertha auf seine Internetseite stellte. „Ich habe wahnsinnigen Respekt davor, ein Teil davon zu sein, diese Geschichte weiterzuschreiben.“

Diese Geschichte nahm am 25. Juli 1892 in einer ausgesprochenen Arme-Leute-Gegend ihren Anfang. Finstere Mietskasernen mit ihren typischen Hinterhöfen und zahlreiche Industriebetriebe, die sich im Wedding angesiedelt hatten und den Anwohnern Arbeit boten, prägten das Bild. Aber eben in diesen Hinterhöfen entdeckten die 16- und 17-jährigen Brüderpaare Fritz und Max Lindner sowie Otto und Willi Lorenz die Liebe zum Fußball. Der Legende zufolge sollen die vier dann an jenem schönen Sommertag auf einer Bank in der Stralsunder Straße in Bierlaune beschlossen haben, einen Verein zu gründen. Dabei soll es damals an dieser Stelle keine Bänke gegeben haben. Andere Chronisten reden davon, dass die Gründung auf dem Vinetaplatz erfolgt sein soll, wieder andere meinen, der Arkonaplatz sei es gewesen.

Hertha BSC besiegt Wacker 04 an der „Plumpe“ mit 5:1. Am Ball Johannes „Hannes“ Sobek (1900–1989), der von 1925 bis 1939 für Hertha spielte, Foto: Sammlung Ralf Schmiedecke Berlin

Egal wo, Erwin Wisch, schon 22 und deshalb auch befugt, regelte die Formalitäten, der BFC Hertha 92 wurde ins Vereinsregister eingetragen und Wisch war der erste Präsident. Gespielt wurde zunächst auf dem „Exer“, da wo heute der Friedrich-Ludwig-Jahn-Sportpark steht. 1904 zog man auf den sogenannten Schebera-Platz, benannt nach dem Gastwirt Joseph Schebera an der Behm-/Ecke Bellermannstraße. Zwei Jahre später der erste große Erfolg: Mit einem 3:2-Sieg über Britannia 92 gewann Hertha erstmals die Berliner Meisterschaft.

Nach finanziellen Streitigkeiten mit Gastwirt Schebera schloss sich die sportlich starke Hertha am 7. August 1923 mit dem finanzkräftigen Berliner Sport-Club zusammen zu Hertha BSC. Der Zusatz BSC blieb auch nach der Trennung sechs Jahre später bestehen. Gemeinsam erwarb man auf der dem Schebera-Platz gegenüberliegenden Straßenseite eine frühere Eisbahn, die als Athletikplatz genutzt wurde. Kurz darauf begann auf dem Gelände der Bau des neuen Stadions am Gesundbrunnen, das unter dem Spitznamen „Plumpe“ berühmt wurde. Eingequetscht zwischen Reichsbahn und Swinemünder Brücke, die jeder nur Millionenbrücke nannte, weil ihr Bau sehr viel Geld verschlungen hatte. Für ein paar Jahre war das Stadion mit den Stehplatztribünen Zauber- und Uhrenberg das Epizentrum des deutschen Fußballs.

Und Hertha erlebte sportlich seine besten Zeiten. Sechsmal in Folge zwischen 1926 und 1931 erreichte man das Endspiel um die deutsche Meisterschaft. Nach vier Niederlagen folgten 1930 und 1931 mit dem unvergessenen Hanne Sobek zwei Meistertitel – es sollten bis heute die einzigen bleiben. Das Stadion wurde in den 70er Jahren abgerissen. Und weil die Plumpe nicht die Voraussetzungen für die neue Bundesliga erfüllte, war Hertha längst ins Olympiastadion umgezogen. Zum Auftakt gegen den 1. FC Nürnberg vor 60.000 mit einem gewissen Otto Rehhagel im Team kam Hertha zur Premiere am 24. August 1963 zu einem 1:1.

Die erste Bundesligasaison beendeten die Berliner auf dem drittletzten Platz. Auch 1965 konnte sich die Hertha auf dem gleichen Rang vor dem sportlichen Abstieg retten, wurde aber vom DFB in die Regionalliga zurückgestuft, weil einige Spieler mit „Handgeldern“ angelockt worden waren, was damals verboten war. Der Zwangsabstieg war schon der zweite des Vereins der Saison 1918/19.  Drei Jahre später kehrte Hertha BSC wieder in Deutschlands Elite-Klasse zurück, um schon 1971, wie Schalke 04 in den Bundesliga-Skandal verwickelt zu sein. Die finanziellen Folgen waren gravierend, aber Hertha berappelte sich wieder.

1975 erreichte man mit der Vize-Meisterschaft den bislang größten Erfolg des Vereins in der Bundesliga. 1978 wurde man nochmals Dritter. Zweimal erreichte Hertha das DFB-Pokalfinale, unterlag 1977 dem 1. FC Köln und 1979 Fortuna Düsseldorf nach Verlängerung mit 0:1. Am 8. Mai 1986 nach einem 0:2 bei Alemannia Aachen folgte mit dem Abstieg von der 2. Bundesliga in die Amateur-Oberliga das sportlich dunkelste Kapitel. Als Amateurmannschaft bestritt die Hertha ihre Heimspiele – bis auf wenige Ausnahmen – im stark sanierungsbedürftigen Poststadion. Im Durchschnitt besuchten 2.000 Zuschauer die Spiele.

1990 kehrte Hertha BSC für eine Spielzeit in die Bundesliga zurück, um dann sechs Jahre in Liga zwei zu dümpeln. Mit Jürgen Röber kam der Erfolg zurück, ein Wirtschaftsrat wurde installiert, es ging aufwärts. 1997 gelang der Wiederaufstieg, später führte Röber die Hertha in der Bundesliga bis auf Rang drei und damit bis in die Champions League, wo Siege gegen den FC Chelsea und AC Mailand gelangen. 2002 musste Röber dennoch gehen. Doch Hertha etablierte sich in der Bundesliga, hatte so tolle Spieler wie Marcelinho, Marko Pantelic oder Natio-
nalspieler Arne Friedrich in seinen Reihen.

2010 aber ging es mal wieder runter – und der Verein entwickelte sich zu einer Fahrstuhlmanschaft. Aufstieg 2011, Abstieg 2012, Aufstieg 2013. Die Trainer wechselten in schnellem Rhythmus. Anfang 2015 übernahm die frühere Spielerlegende Pal Dardai, Hertha geriet in ruhigeres Fahrwasser. Aber guten Hinserien folgten schlechte Rückrunden, immerhin erreichte man nach Jahrzehnten mal wieder ein Halbfinale im DFB-Pokal, das im April 2016 gegen Borussia Dortmund mit 0:3 verloren ging. 2019 trennten sich Hertha von Dardai.

Womit wir bei der kapriziösen Gegenwart wären. Bekanntlich stieg vor drei Jahren Investor Lars Windhorst ein, teure Spieler wurden verpflichtet, als Teamchef Jürgen Klinsmann, der aber nach nur wenigen Wochen einen überaus unrühmlichen Abgang über Facebook hinlegte. Alexander Nouri, Bruno Labbadia, dann wieder Dardai, Tayfun Korkut, Felix Magath, der in der Relegation gegen den HSV den Klassenerhalt in der vorigen Saison auf den letzten Drücker schaffte – Hertha wechselte die Trainer in immer kürzeren Abständen. Und für den entlassenen Michael Preetz kam im Sommer 2021 Fredi Bobic. Naja, Hertha eben. 130 Jahre alt – aber langweilig war es nie. Wie wir Hertha kennen, wird sich daran so schnell auch nichts ändern. 

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